Gruppe GegenSatz Marburg

Von Sinn und Zweck eines Freihandelsabkommens

Die folgenden drei Texte sind der politischen Vierteljahresschrift GegenStandpunkt, Ausgaben 2014-03 und 2015-03 entnommen:
www.gegenstandpunkt.com

 

1. TTIP:
Ein Kampfprogramm zur Neuordnung des Weltmarkts für Dollar- und Eurokapitalisten

„TTIP bringt mehr Wachstum!“ versprechen die verantwortlichen Wirtschaftspolitiker. Wem versprechen sie damit eigentlich was? Dass Löhne und Gehälter wachsen, ist jedenfalls nicht versprochen. Dass die Lebensverhältnisse für normale Menschen leichter, angenehmer, sauberer, gesünder werden, ist auch nicht im Programm. Wachsen soll „die Wirtschaft“, nämlich was die an Erfolgszahlen produziert. Was sie da hinkriegt, ist natürlich nach wie vor und mehr denn je eine Frage der Konkurrenz – zwischen den Firmen, und zwischen den Staaten, die für die Bilanzen der Wirtschaft ihres Landes alle Rücksichten fallen lassen. Was also auf alle Fälle wächst und wachsen soll, das sind Reichweite und Schärfe eben dieser Konkurrenz, für die die Firmen in Europa, in Nordamerika und überhaupt weltweit ihr Personal auf wachsende Leistung trimmen und für die die zuständigen Politiker ihren Völkern einen gut durchorganisierten wachsenden Leistungsdruck bescheren. „Reformen“ ist das niedliche Stichwort dafür.

Für Leute, die sich nicht alles gefallen lassen wollen, was Staat und Wirtschaft mit ihnen anstellen, eine gute Gelegenheit, sich darüber Rechenschaft abzulegen – nein, nicht bloß, ob sie allen Ernstes noch mehr von dieser Konkurrenz haben wollen, sondern ob überhaupt diese Art von Leben. Denn warum soll man als normaler Mensch für eine Ökonomie des Konkurrenzkampfs der Firmen ums Geld der Welt sein?

Ach so, wegen des großen Segens, der damit verbunden und gleichfalls versprochen ist:

„TTIP schafft Arbeitsplätze!“ - zigtausende, heißt es. Und kaum versprochen, fangen kritische Experten das Nachrechnen an und kommen zu „mageren“ bis „enttäuschenden“ bzw. „gefälschten“ Ergebnissen. Aber was ist das überhaupt für ein Versprechen? Für einen normalen Zeitgenossen, der einen Arbeitgeber finden muss, damit er sich überhaupt einen Lebensunterhalt verdienen kann, enthält die schöne Verheißung eher eine Drohung, oder genau genommen sogar zwei:

Nr. 1: Wie dein „Arbeitsplatz“ aussieht, was du dort zu tun hast, was du dort verdienst, das liegt überhaupt nicht in deiner Hand. Das entscheidet sich im internationalen Konkurrenzkampf der Firmen, für den eine Handvoll demokratisch gewählte Machthaber die Richtlinien erlassen.

Nr. 2: Auf einen solchen Arbeitsplatz bist du angewiesen, aber der Arbeitsplatz nicht auf dich. Ob es den überhaupt gibt, das entscheiden die Firmen im Zuge und im Interesse ihres grenzüberschreitenden Konkurrenzkampfes, für den demokratisch gewählte Politiker sich immer griffigere Richtlinien ausdenken.

Eine schöne Ansage also: Du, lieber TTIP-Bürger, hast die Not, an eine Verdienstquelle zu kommen – wir, die Verantwortlichen, schaffen und verwalten sie. Und ausgerechnet das soll ein unanfechtbar guter Grund sein, dafür zu sein – für das Funktionieren eines Ladens, in dem der normale Mensch die ehrenvolle Rolle der abhängigen Nullnummer spielen darf!

Naja, immerhin ist auch versprochen:

„TTIP spart Kosten!“ Nämlich erstens den Unternehmern; zweitens die Kosten für die Einhaltung von Vorschriften, die besorgte Politiker irgendwann einmal für nötig gehalten haben – was natürlich schon zwei gute Gründe für TTIP sind. Der beste Grund heißt aber drittens: Diese Vorschriften sind, nach den amtlichen Feststellungen der Unterhändler, eigentlich gar nicht für die Angelegenheiten gut, die sie regeln – irgendwelche Gesundheitsrücksichten, Schonung der Natur oder so – , sondern vor allem dazu da, ausländische Konkurrenten zu diskriminieren.

Letzteres ist mal ein ehrliches Wort. Und sollte all denen zu denken geben, die ihre eigene Obrigkeit schon allein deswegen für vergleichsweise nicht schlecht halten, weil sie die amerikanische Art der Salmonellenbekämpfung in Hühnerkadavern für den menschlichen Verzehr bislang nicht zugelassen hat. Am Ende ist es nämlich wirklich so, dass alle politische Volksfürsorge, von gewissen Vorschriften zur Unfallverhütung bis zur Buchpreisbindung, schon seit jeher unter dem einen großen Vorbehalt steht oder jedenfalls mittlerweile nur im Sinne der einen großen Staatsaufgabe in die Tat umgesetzt wird: Das nationale Geschäft muss sich lohnen. Oder genauer: Alle Geschäftemacherei muss sich nicht nur überhaupt für die lohnen, die es machen, sondern auch für die Staatsgewalt, die darauf aufpasst. Deswegen passt die auch darauf auf, dass die weltweite Geschäftemacherei sich vor allem für die lohnt, die mit ihrer Bereicherung ihrer Staatsgewalt nützen.

Wenn das nicht auch für alle, die von den lohnenden Geschäften gar nichts haben, ein guter Grund ist, dafür zu sein!

Womit wir bei der letzten und ehrlichsten aller Versprechungen wären:

„TTIP setzt Geschäftsbedingungen für den Rest der Welt!“ Für die Chinesen vor allem, und zwar bevor die Volksrepublik, die kommunistische, zusammen mit Russland, Indien, Brasilien, Südafrika... – uns die Bedingungen serviert, nach denen kapitalistische Unternehmer auf dem Weltmarkt Geld verdienen können. Welche Bedingungen das dann sein könnten, wen sie wie treffen würden, spielt da gar keine Rolle – und schon gar nicht der Gesichtspunkt, dass der normale Mensch in dem ökonomischen Welttheater, um dessen Geschäftsordnung da so erbittert gerechtet wird, allemal nur als Versatzstück in kapitalistischen Konkurrenzerfolgskalkulationen vorkommt. Genau diesen normalen Menschen soll ganz spontan einleuchten, dass es auch für sie ganz furchtbar entscheidend ist, in welchen Hauptstädten über die Vorschriften entschieden wird, nach denen das weltweit agierende Kapital sein Wachstum betreibt – mit ihnen als lohnabhängigem Menschenmaterial unter staatlich organisiertem Leistungsdruck oder auch ohne sie, wenn es gerade keine lohnende Verwendung für sie hat. Ein herrlicher Grund, dafür zu sein, den die Politiker ihrem wahlberechtigten Volk da anbieten: Unsere schöne Welt ist imperialistisch; und deswegen wollen und müssen wir – zusammen mit unseren europäischen und transatlantischen 'Partnern' – die führenden, maßgeblichen Imperialisten bleiben. Auf immer und ewig!

*

Traurig genug: Genau an dem Versprechen macht sich die härteste Kritik fest, die in Sachen TTIP in Deutschland zu vernehmen ist: Die privaten „Schiedsgerichte“ sind der große Stein des Anstoßes. Denn da droht ein Sieg des ökonomischen Eigennutzes über demokratisch beschlossene Regelungen. Das darf nicht passieren – da sind sich die schärfsten Kritiker von unten mit dem dicksten TTIP-Anwalt der Regierung auf einmal einig!

Und das ist leider gar nicht verwunderlich. Denn was darf nach deren gemeinsamer Auffassung auf keinen Fall passieren? Erfolgreicher unternehmerischer Eigennutz? – Um dessen Förderung geht es doch erklärtermaßen in dem ganzen Unternehmen. Ein Verstoß gegen die Demokratie? – Da bezeichnet das Etikett „demokratisch beschlossen“ doch nichts weiter als den Punkt, an dem die Macht- und Freiheitsillusionen wahlberechtigter Regierter mit dem Souveränitätsanspruch der gewählten Regierenden zusammenfallen. Und den einen Inhalt hat dieser „Punkt“: National muss die Geschäftsordnung sein, der wir alle gehorchen. National muss die Herrschaft agieren, keiner auswärtigen Macht hörig: Dann gehorchen wir ihr gern! Aber auch nur dann; sonst nur ganz, ganz ungern – das ist die mannhafte Drohung der TTIP-Kritik von unten.

So verpasst man gründlich, worum es bei TTIP wirklich geht...

 

 

2. Mit TTIP zur Wirtschafts-NATO

Dollar-Imperialismus und Euro-Binnenmarkt – gemeinsam unüberwindlich

Die USA und die EU verhandeln seit gut einem Jahr über eine „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP). Dieses Vorhaben hat, anders als das bisherige seit Anfang der 1990er Jahre währende Gezerre auf Beamten- und Ministerebene um ein Transatlantisches Freihandelsabkommen (TAFTA), die allerhöchste Unterstützung durch den US-Präsidenten und die Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten und eine entsprechend hohe Dringlichkeitsstufe. TTIP soll zügig, innerhalb von zwei Jahren, fertig verhandelt werden, und vor allem: Es soll ein „ehrgeiziges“ Abkommen werden, das weit über alle bisherigen Freihandelsabkommen hinausgeht.1)

Ein Freihandelsabkommen wie kein anderes

Die Verhandlungsgegenstände sind – entgegen anderslautenden Gerüchten – kein sorgsam verborgenes Geheimnis. Der Stoff reicht von so banalen Fragen wie den Produktionsmethoden für Hühnchen (am Schluss chlorieren oder schon während der Produktion den Salmonellen das Leben schwer machen) oder Blinkerleuchten für Autos (rot oder gelb) über noch immer erhobene Zölle und die Zulassung auswärtiger Firmen zur Bewerbung um staatliche Aufträge bis zu ganz „technisch“ daherkommenden, dann aber doch etwas gewichtigeren Dingen wie der Schlichtung möglicher Streitfälle, wenn Investoren ihr Eigentumsrecht auf ungehinderte Kapitalverwertung durch Maßnahmen des Investitionsstaates geschmälert sehen. Der Anspruch von TTIP ist es, das Prinzip der „Nichtdiskriminierung“ von Firmen aus den jeweiligen Partnerländern bis ins letzte Detail und garantiert wirksam durchzusetzen, gegen alle staatlichen Regelungen und wirtschaftspolitischen Instrumente, aus denen – ob beabsichtigt oder nicht – inländischem Kapital ein Konkurrenzvorteil erwachsen könnte.

– Staatliche Normen und Standards, die der Produktsicherheit, dem Umwelt-, Gesundheits-, Verbraucher- und Arbeitsschutz dienen, sowie die Verfahren, mit denen ihre Einhaltung staatlich überprüft und zertifiziert wird, gelten als „nichttarifäre Handelshemmnisse“, da ihre Einhaltung und deren Bestätigung dem Import aus dem Hoheitsgebiet des atlantischen Handelspartners mit seinen eigenen Normen und Überprüfungsverfahren zusätzliche Kosten aufbürden. Das gleiche gilt für die Regulierung des Geschäfts mit Finanzdienstleistungen, um die Stabilität des nationalen Finanzwesens zu sichern. Solche Regelungen sollen keine Handelsschranken mehr sein. Wo dieses Ziel durch Angleichung der nationalen Standards nicht erreichbar ist (und das ist die Regel, nicht die Ausnahme), ist ihre geschäftshemmende und -verteuernde Wirkung auszuschalten, indem die diversen Vorschriften und Normen in ihrer Schutzwirkung „im Wesentlichen“ als gleichrangig, die diesbezüglichen Zertifizierungen der anderen Seite als gültig anerkannt werden. Nationale Produktions- und Handelsbeschränkungen sollen nur noch bei „wissenschaftlich erwiesener“ („science based“), nicht schon bei „nicht auszuschließender“ Schädlichkeit der entsprechenden Produkte oder Produktionsverfahren zulässig sein.

– Wirtschafts-, sozial- oder kulturpolitisch begründete staatliche Eingriffe in die Konkurrenz der Kapitale, sei es per Subventionen und Steuervergünstigungen, sei es per Eingriff in die freie Preisbildung (ob von Büchern, Medikamenten oder Wohnungen), gelten als „Wettbewerbsverzerrung“, die die auswärtige Konkurrenz unzulässig diskriminiert. Auch die gezielte Verteilung öffentlicher Aufträge, mit denen die Staaten auf lokaler, regionaler oder gesamtstaatlicher Ebene das ansässige inländische Geschäftsleben begünstigen und so die kapitalistische Nutzung von Land und Leuten sowie die gesundheitliche und kulturelle Betreuung des Volkskörpers fördern wollen, gelten als Beschränkungen des „Marktzugangs“, die verdiente Konkurrenzerfolge verhindern. Derartige Eingriffe in die freie Konkurrenz sind zu beseitigen und in der Zukunft zu unterlassen.

– Die geplante „Investitionspartnerschaft“ soll sich darin bewähren, dass dem Kapital aus dem Herrschaftsbereich des Partners nicht nur die Freiheit zum Investieren in allen Geschäftssphären eröffnet wird, die dort dem heimischen Kapital offenstehen. Auch solche Geschäftszweige, die ein Staat in höherem standortpolitischen Interesse sich selbst vorbehält, sind grundsätzlich dem privaten Kapital als Investitionssphäre zu öffnen.

– Die Vertragsbestimmungen zum Prinzip der Nichtdiskriminierung werden entscheidend ergänzt durch Verfahrensvorschriften zur prozessualen Durchsetzung des Investorenschutzes. Dabei soll betroffenen auswärtigen Kapitalisten nicht zugemutet werden, ihre Ansprüche auf die ungestörte Verwertung ihres Eigentums gegen Enteignungen oder „enteignungsgleiche Eingriffe“ der örtlichen Herrschaft vor den Gerichten des Investitionslandes verfolgen und sich damit womöglich national parteilichen Verfahren und Urteilen unterwerfen zu müssen. Für sie wird eine eigene überstaatlich-unabhängige Schiedsgerichtsbarkeit geschaffen, die nur dem Schutz des Eigentumsrechtes auf dem Territorium auswärtiger Herrschaften gegen deren Übergriffe verpflichtet ist. Das sogenannte Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren (Investor-State Dispute Settlement: ISDS) erlaubt es ausländischen Kapitalisten, den Staat, in dem sie investiert haben, vor einem internationalen, keiner nationalen Jurisdiktion unterliegenden Tribunal auf Entschädigung zu verklagen, wenn dieser das Kapital mit zusätzlichen Kosten belastet, die zum Zeitpunkt der Investition noch nicht bestanden. Denn klar ist: Der Wert des Kapitals ergibt sich aus dem zu erwartenden Gewinn; und was diesen Wert schmälert, das vernichtet Eigentum, ist also Enteignung. Zwar nur „indirekte“, im Unterschied zur direkten per Wegnahme oder Verstaatlichung; aber dieser Unterschied soll beim Schutz des privaten Eigentums keine Rolle spielen.2)

Staatlicher Regelungsbedarf für einen Super-Wirtschaftsraum
neuen Formats

Dass den Konzernen der westlichen Welt, die rund um den Globus aktiv sind, ein solches Abkommen gefällt, liegt auf der Hand. Von ihnen stammen ja die Auflistungen politischer Behinderungen, unter denen sie leiden und die von den Unterhändlern aus Washington und Brüssel nun abgearbeitet werden; sie lassen sich die Ausnutzung des Investorenschutzes durch spezielle Schiedsgerichte schon seit längerem nicht bloß ein paar Arbeitsplätze in ihrer Rechtsabteilung kosten, sondern stellen bei Bedarf auch Experten für diese Gerichte selber ab. Politiker und Handelsdiplomaten, die sich in den und für die TTIP-Verhandlungen engagieren, stehen deswegen öffentlich im Verdacht, Marionetten oder Opfer der einschlägigen Wirtschaftslobbies zu sein. Wenig Aufmerksamkeit findet deswegen das politische Interesse, das die Regierungen diesseits und jenseits des Atlantik beflügelt, wenn sie ihr TTIP-Projekt betreiben. Dabei sind sie die Subjekte des Verfahrens; und an ihrem Engagement werden durchaus elementare Prinzipien ihrer ökonomischen Staatsräson deutlich.

Offensichtlich gehen die zuständigen Regierungen felsenfest davon aus, dass Amerika und Europa einander für den Erhalt und das Wachstum ihrer Wirtschaftsmacht brauchen und dafür die Ausweitung ihres Wirtschaftsraums um den Binnenmarkt des jeweils anderen das beste Mittel ist. Die Masse der Ressourcen an gesellschaftlicher Arbeit und gegenständlichem Reichtum sowie der Zahlungsfähigkeit, auf die kapitalistische Unternehmen frei und ungehindert zugreifen können, veranschlagen sie mit der größten Selbstverständlichkeit als Vorteil für die Akkumulation von Kapital, die sie genauso umstandslos mit dem Nutzen ihrer Nation gleichsetzen. Für diese Gleichung werben sie in ihrer demokratischen Öffentlichkeit zwar gerne mit der sehr freihändigen Hochrechnung zu erwartender Arbeitsplätze und prozentualer Wohlstandsgewinne bei Wegfall diskriminierender Vorschriften. Doch weder legen sie gesteigerten Wert auch nur auf den Anschein eines wirklich nachweisbaren Zusammenhangs der behaupteten Art – da reicht dem deutschen Wirtschaftsminister z.B. schon eine Zahlenangabe seiner PKW-Industrie über die Kosten der Erfüllung amerikanischer Sicherheitsvorschriften, um sich zu einem zusätzlichen Wachstumsimpuls für die deutsche Wirtschaft zu gratulieren, wenn diese Vorschriften nicht mehr extra beachtet werden müssen –, noch machen sie ihr Interesse an einer Verdoppelung des uneingeschränkt verfügbaren Aktionsfelds ihrer Firmen von der Glaubwürdigkeit der in die Welt gesetzten Wachstumsziffern abhängig: Kapital braucht Markt, großes Kapital größere Märkte: der Grundsatz langt schon.3)

Durchaus radikal ist die Konsequenz, die die politischen Betreiber des TTIP-Projekts aus diesem Grundsatz ziehen. Sie verallgemeinern und lassen sogar in Bezug auf ihr eigenes nationales Regelwerk gelten, was sie seit jeher ihren ausländischen Kollegen kritisch entgegenhalten: den Verdacht auf mindestens fahrlässige, eher absichtsvolle Verfälschung der freien kapitalistischen Konkurrenz durch sachlich nicht gerechtfertigte diskriminierende Vorschriften, erlassen im gar nicht wohlverstandenen nationalen Eigeninteresse. Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass das Konkurrieren Sache der Unternehmen ist und zu bleiben hat und Staaten am besten fahren, wenn sie es denen auch überlassen; sie sollen die Wirtschaft allein mit solchen Bedingungen ausstatten, die die Konkurrenz der Kapitalisten freisetzen, also auf nichts anderes verpflichten als Fairnessregeln, die jede Wettbewerbsverzerrung ausschließen. Wie solche Regeln aussehen müssen und welche Gesichtspunkte staatlicher Betreuung des Volkes und der eigenen Macht daneben und auch dann noch Geltung beanspruchen dürfen, wenn ökonomische Berechnungen der Privatwirtschaft dadurch tangiert werden, das ist ein Gegenstand der Verhandlungen; und es ist klar, dass die sich damit in die Länge ziehen. Denn moderne Staaten finden es notwendig und haben verschiedene Gründe, auf sämtliche menschlichen Aktivitäten – vom Essen und Trinken verderblicher kapitalistischer Ware über das Bauen von Autos und Anrühren von Chemikalien bis zum Unterrichten des nationalen Nachwuchses, der Versorgung von Kranken und der Herstellung und Vermarktung von Kulturprodukten – ein Auge zu haben, was allemal in Rechtsvorschriften mündet. Deren Inhalt ist so zu modifizieren oder ihre Geltung so einzugrenzen, dass sie auf keinen Fall dem übergeordneten Ziel im Wege stehen, den nationalen Kapitalstandort zum Schauplatz ungehinderter, freier Konkurrenz zwischen allen Kapitalisten der EU und der USA herzurichten, die sich dort betätigen wollen. Denn nur so ist gewährleistet, was die TTIP-Macher politisch anstreben, im wohlverstandenen Eigeninteresse der beteiligten Nationen: dass das effektivste Kapital am jeweiligen nationalen Standort heimisch wird; was eben bestimmt und überhaupt nicht dadurch zu erreichen ist, dass die nationalen Geschäftsbedingungen mit dem Ziel zurechtgebogen werden, das heimische Kapital effektiv zu machen oder, schlimmer noch, gegen die tüchtigere Konkurrenz von auswärts abzuschirmen.

Der transatlantische Konsens und seine sachliche Grundlage: Erfolg

Den wirtschaftspolitischen Grundsätzen, denen die TTIP-Politiker folgen, ist ihre Herkunft deutlich anzusehen. Nein, nicht die aus irgendwelchen „neoliberalen“ Denkschulen: Die machen sich bloß ihren dogmatischen affirmativen Vers auf die weltwirtschaftliche Praxis, die die USA seit Jahrzehnten üben und der Staatenwelt aufgedrängt haben und von Beginn an als große Erfolgsgeschichte verbuchen. Amerikanische Unternehmen haben sich tatsächlich in dem Maß den Weltmarkt erobert, in dem ihnen das Recht eingeräumt worden ist, auswärts mit der Konkurrenzmacht anzutreten, die ihnen ihre auf dem heimischen Markt erwirtschaftete überlegene Größe verleiht; die so errungenen Erfolge haben sich regelmäßig als Basis für weiteren Zuwachs bewährt. Durch den Export von Kredit in alle Welt haben Amerikas Banken einen globalen Finanzmarkt aufgebaut, in dem sie federführend sind und dem sie die Mittel für geschäftliche Unternehmungen jeglicher Art und Größenordnung entnehmen und hinzufügen. Dort vermarkten sie außerdem amerikanische Staatsschulden in jeder beliebigen Menge, verschaffen also gleichzeitig ihrem Staat den Kredit der ganzen kapitalistischen Welt, dieser ein sicheres Geschäft, das im Wesentlichen über sie läuft, folglich sich selbst zusätzliche Finanzmacht. Die weltweite Verwendung des US-Dollar als kapitalistisches Geschäftsmittel folgt daraus und bestätigt, dass in den USA geschöpfter Kredit weltweit als Geldkapital fungiert; das nationale Kreditgeld der USA, ihr Dollar, nährt das kapitalistische Geschäft auf der ganzen Welt und wird dadurch zum über jeden Zweifel erhabenen Weltgeld. So geht für die USA die Gleichung auf, die dem TTIP-Projekt zugrunde liegt: zwischen weltweit freigegebener Konkurrenz der Kapitalisten, in der nichts als die Produktivität des eingesetzten Geldes und als deren entscheidende Quelle die Größe des eingesetzten Kapitals zählen, und nationalem Erfolg.

Der Rest der Staatenwelt, jedenfalls der seinerseits kapitalistisch erfolgreiche Teil davon, bestätigt auf seine Art die universelle Gültigkeit dieser Gleichung. Auch für den Kapitalismus dieser Nationen hat sich der von den USA gestiftete Weltmarkt als Erfolgsbedingung dadurch bewährt, dass auf ihm im Großen und Ganzen die Unternehmen mit der brutalsten kapitalistischen Effizienz zum Zuge kommen. Speziell die deutsche Bundesrepublik hat für ihre Nachkriegskarriere die Chancen genutzt, die die von den USA diktierte Konkurrenzordnung ihr geboten hat; in ihrer Rechnung zählt, was sich durchgesetzt hat, erst recht die erfolgreichen „internationalen Champions“; was dabei alles auf der Strecke geblieben ist, geht in die nationale Bilanz schlicht nicht mit ein, trübt die Erfolgsbilanz also nicht weiter. Die zugrunde liegende Gleichung von Größe des Marktes, Größe des Erfolgs der potentesten Kapitale und Nutzen für die Nation hat Europas kapitalistischen Führungsmächten überhaupt so eingeleuchtet, dass sie, um der überlegenen Konkurrenz von der anderen Seite des Atlantiks gewachsen zu sein, untereinander das Prinzip der freien Konkurrenz beherzigt und einen dem amerikanischen der Größe nach ebenbürtigen supranationalen Binnenmarkt geschaffen haben. Verfahren und Ergebnis verbuchen auch sie als Erfolgsgeschichte – und sind deshalb grundsätzlich für die TTI-Partnerschaft zu haben, die mit dem Zusammenschluss der zwei weltgrößten Binnenmärkte den Grundsatz radikalisiert, den beide Seiten für ihr nationales Erfolgsrezept halten: dass im nationalen Interesse keine staatliche Vorschrift, in welchem Sektor gesellschaftlicher Aktivität und aus welchem Grund auch immer erlassen, auf die Diskriminierung kapitalistischer Geschäftemacherei, von welchem Standort auch immer sie ausgehen mag, hinauslaufen und die Freiheit des Konkurrierens beeinträchtigen darf.

Der transatlantische Dissens und sein Grund:
Unterschied und Gegensatz zwischen dem Standpunkt der Führung und dem Anspruch auf Gleichrangigkeit

Die Einigkeit im Prinzipiellen zwischen den transatlantischen Partnern ist freilich alles andere als das Ende aller Differenzen und Gegensätze. Die langwierigen Verhandlungen selbst sind ja der schlagende Beweis, dass es für mächtige Standortverwaltungen überhaupt nicht einfach ist, sich darüber zu einigen, wo im staatlichen Vorschriftenwesen die sachlich begründete Wahrnehmung der politischen Verantwortung für Gott und die Welt endet und die wettbewerbswidrige Diskriminierung fremder Firmen anfängt. Es handelt sich da eben nicht um eine Frage objektiver Ermittlung, sondern um eine Streitsache zwischen berechnenden Souveränen. Überdeutlich wird das in dem besonders strittigen Verhandlungspunkt „Schiedsgerichtsbarkeit“. Zum einen und im Allgemeinen insofern, als das Bedürfnis nach solchen Instanzen der investorenfreundlichen Streitschlichtung von dem Misstrauen zeugt, das die Unterhändler in den freiheitlichen Wettbewerbsgeist und guten kapitalistischen Willen ihrer Partner setzen. Als solche Misstrauenserklärung wird jedenfalls das Insistieren der amerikanischen Seite auf einem Klagerecht sich betroffen wähnender Konzerne vor Schiedsinstanzen außerhalb nationaler Kontrolle, personell zusammengesetzt aus den besten Experten in Sachen kapitalistischer Freiheitsrechte, von den kapitalistisch ebenso sattelfesten Europäern wahrgenommen und insbesondere von den Deutschen zurückgewiesen (bevor man kundtut, das Abkommen daran nicht scheitern lassen zu wollen). Und das ist, über die allgemeine Vertrauensfrage zwischen staatlichen Bündnis- und Geschäftspartnern hinaus, ganz aufschlussreich, offenbart nämlich einen deutlichen Unterschied in dem im Prinzip identischen Standpunkt, mit dem Amerikaner und führende Europäer an die Frage des rechtlichen Regimes über ihren geplanten gemeinsamen Markt herangehen.

Was die USA betrifft, so steht für die selber außer Zweifel, und das nehmen ihre europäischen Verhandlungspartner auch so zur Kenntnis, dass sie gewissermaßen a priori von der geplanten Schiedsgerichtsregelung nicht betroffen, sondern auf der Seite der zu erwartenden Kläger zu finden sind. Das ergibt sich nicht nur daraus, dass die aktivsten Multis mit den meisten und größten und unduldsamsten Gewinnansprüchen an fremde Regierungen in den USA zu Hause sind; das wird nicht nur dadurch quasi empirisch bestätigt, dass diese Firmen auch schon die meisten Verfahren angestrengt und gewonnen haben. Der Identität ihrer nationalen Gesetzgebung mit Freiheitsrechten und Fairnessregeln der kapitalistischen Konkurrenz sind die Amerikaner sich schon deswegen absolut sicher, weil sie die Welt ja damit beglückt haben, also die geborenen Regelsetzer und Richter für alle erdenklichen ISDS-Verfahren sind.

Dieser Standpunkt, die maßgeblichen Normen zu setzen und ihnen nicht zu unterliegen, ist den Europäern auch überhaupt nicht fremd. In ihren zahlreichen Vereinbarungen mit Drittländern über derartige Streitschlichtungsverfahren gehen sie selber davon aus, dass sie darüber nicht von auswärtigen Kapitalisten belangt werden, sondern für ihre eigenen weltweit tätigen Firmen die nötige Rechtssicherheit stiften. Eben deswegen sehen sie sich durch das amerikanische Drängen auf Einführung solcher Instanzen außer- und oberhalb der nationalen Gerichtsbarkeit herausgefordert, nämlich von den USA als überwachungs- und kontrollbedürftige Kandidaten behandelt. Großbritannien im sicheren Bewusstsein seiner „special relationship“ zu den USA erklärt sich demonstrativ für nicht betroffen: „Erfolgreiche Klagen (in ISDS-Verfahren gegen GB) dürften sehr begrenzt sein angesichts des Schutzes, der bereits in Recht und Rechtsvollzug im Vereinigten Königreich besteht.“ (House of Lords, European Union Committee - Fourteenth Report: The Transatlantic Trade and Investment Partnership, 6.5.14) Der deutsche Wirtschaftsminister dagegen will mit seinem Verweis auf die unübertreffliche Rechtssicherheit des Kapitals in seinem Musterland Einspruch eingelegt haben gegen einen amerikanischen Standpunkt, der ihm nicht die Rolle des gleichberechtigten Subjekts bei der Durchsetzung eines diskriminierungsfreien Wettbewerbsregimes auf dem transatlantischen Binnenmarkt zubilligt, sondern bestenfalls den Status eines folgsamen Gehilfen bei der flächendeckenden Etablierung genuin amerikanischer Normen für freiheitlichen Kapitalismus zuweist. Da begegnen sich, gar nicht einvernehmlich, die mit größter Selbstsicherheit in Anspruch genommene Dominanz der USA und der Anspruch der Europäer, insbesondere derjenige der ökonomischen Führungsmacht, auf Gleichrangigkeit.

Die ökonomische Hauptsache, von der TTIP abstrahiert: das Geld

Der Gegensatz der Standpunkte, mit denen die beiden Seiten der projektierten transatlantischen Partnerschaft einander auf die Nerven fallen, wird von anderen europäischen Verhandlungsführern an anderen möglichen Streitpunkten festgemacht; von Frankreich etwa vor allem an der befürchteten Hollywoodisierung der hohen Filmkunst, die von Haus aus französisch parliert. Anscheinend überhaupt keine Rolle spielt jedoch der Stoff, der die amerikanische Finanz-Weltmacht und die Mehrheit der EU, deren „inneren Kern“, tatsächlich und ziemlich substanziell ökonomisch entzweit. Wie frei und ungehindert auch immer die Firmen auf dem großen transatlantischen Binnenmarkt agieren und konkurrieren dürfen: Der Kredit, mit dem sie bzw. ihre Banken ihre Konkurrenzkämpfe finanzieren, lautet diesseits und jenseits des Atlantiks auf ein anderes Geld; es sind verschiedene nationale Notenbanken, die als Garanten des verwendeten Geldes und in letzter Instanz für die Refinanzierung des nationalen Kredits geradestehen. Die repräsentieren mit der Qualität ihres Produkts den Gesamterfolg der Verwendung dieses Kredits als Kapital; ihre Macht, die Wirtschaft mit einem soliden Kreditgeld zu versorgen, ist umgekehrt eine wesentliche Quelle dieses Erfolgs. In diesem Zirkel wird die noch so diskriminierungsfrei organisierte Konkurrenz der Kapitalisten national abgerechnet und als nationale Größe zur Geschäftsbedingung, die mehr als alles andere die konkurrierenden Kapitalisten national diskriminiert. So scheidet die Nationalität der Kreditgelder von vornherein den geplanten transatlantischen Wirtschaftsraum in zwei Teile, die einander mit dem Stoff, in dem der jeweilige kapitalistische Erfolg sich niederschlägt und als Erfolgsbedingung wirksam wird, konkurrierend gegenüberstehen, ohne dass sie das eigens beschließen müssten, aber auch ohne dass sie das per Beschluss beenden könnten – schließlich denkt keine Seite daran, die eigene Währung aufzugeben bzw. die des Partners damit zu ersetzen.

Ganz jenseits der Frage, wie diese grundsätzliche Diskriminierung sich in der Konkurrenz der in Zukunft diskriminierungsfrei konkurrierenden Kapitale aus Europa und Amerika praktisch auswirkt, steht, gleichfalls von vornherein, so viel fest: Euro und US-Dollar sind nicht bloß zwei verschiedene ehrenwerte Kreditgelder, sondern weisen einen Unterschied auf, der sich mit dem Gegensatz der Status-Ansprüche beider Seiten – „Führung“ versus „Gleichrangigkeit“ – deckt, weil er ihn ökonomisch substanziell begründet: Was Umfang und Wucht der mit den jeweiligen Währungen operierenden Finanzgeschäfte betrifft, besitzen die USA mit ihrem Dollar die Weltgeltung, die die Euro-Staaten ihrem Kreditgeld erst noch verschaffen wollen. Die Gleichung von nationalem und globalem Finanzmarkt, von Schulden in nationaler Währung und weltweit verwendbarem und verwendetem Geldkapital, von nationalem Kreditzeichen und Weltgeld gilt für Amerika in weit höherem Maß als für die Europäer; und dieser quantitative Unterschied ist groß genug, dass er einen qualitativen Gegensatz repräsentiert: Die USA haben ihre im Dollar vergegenständlichte ökonomische Weltmacht gegen Alternativen zu verteidigen – und dafür im Dollar auch das schlagkräftige Mittel –; die Euro-Staaten bemühen sich darum, es mit der Ausstattung ihrer Kapitalisten und der auf den globalen Finanzmärkten tätigen Kreditunternehmen mit ihrer Kollektivwährung zu so viel kapitalistischem Erfolg und am Ende so weit zu bringen, dass ihre ökonomische Macht der amerikanischen gleichkommt. Und das bedeutet immerhin: Sie wollen ihrem transatlantischen Partner nicht bloß ein paar Geschäftsfelder streitig machen, sondern seine Sonderstellung in der Weltwirtschaft wegnehmen, die seine einstweilen unanfechtbare Finanzmacht begründet – und deren die Amerikaner sich sicher sind, solange es in der Weltwirtschaft nach ihren Begriffen fair zugeht, also Effektivität und Größe des Kredits über Erfolg und Wachstum des Kapitals und damit über Wohl und Wehe der Nationen entscheiden.

Was Sache, aber nicht Thema ist: Ein sehr abstrakter Machtkampf

An diesen ganz handfesten ökonomischen Gegensatz zwischen den Verhandlungspartnern rührt das TTIP-Projekt überhaupt nicht. Es klammert das ökonomische Ding, in dem die Ergebnisse der Konkurrenz der kapitalistischen Unternehmen zur nationalen Geschäftsbedingung werden, aus seiner Agenda aus, abstrahiert also von dem Konkurrenzverhältnis, in dem die Staaten als Herrscher über ein Wirtschaftsleben, von dessen nationaler Bilanz ihre Macht ökonomisch abhängt, zueinander stehen – und das immerhin der bleibende Grund dafür ist, dass Regierungen immerzu genau das im Auge haben und betreiben, was sie sich per TTIP-Vertrag untersagen und abgewöhnen wollen, nämlich Schutz und positive Diskriminierung für die Geschäfte, die ihrer nationalen Bilanz nützen. Mit ihrem Diskriminierungsverbot versucht die große Partnerschaftsinitiative sich an der unmöglichen Unterscheidung zwischen der kapitalistischen Konkurrenz, aus der sie sich heraushalten wollen, und der Nationalität des in dieser Konkurrenz verwendeten Kredits, auf dessen Erfolg sie angewiesen sind, also auch nach Kräften hinwirken. Aber was heißt da schon ‚unmöglich‘? Den Politikern beider Seiten stellt sich das Konkurrenzverhältnis, in dem ihre Länder zueinander stehen und von dem sie auch und gerade dann, wenn sie davon abstrahieren, überhaupt nicht ablassen, offensichtlich etwas anders dar; nämlich wie schon gehabt: als der Anspruch – auf dominante Führung hier, auf anerkannte Gleichrangigkeit da –, mit dem sie an ihr Einigungswerk herangehen und dem sie in den Verhandlungen Geltung zu verschaffen suchen. Ihre Konkurrenz ums jeweilige Geld, nämlich um dessen Weltrang, übersetzen sie in eine abstrakte Machtfrage; abstrakt genug, dass sie die Auseinandersetzungen um alle Einzelpunkte ihres Abkommens durchzieht, sich auch an allen beliebigen Punkten festmachen lässt, ohne explizit zum Thema zu werden. Die ist der eigentliche Gegenstand des Ringens um eine neue transatlantische Wirtschaftspartnerschaft.

Was dann doch Thema ist: Ein neues Regime für den Weltkapitalismus

Dass es in den transatlantischen Einigungsbemühungen um eine zwischenstaatliche Machtfrage geht, wird in einer Hinsicht dann natürlich doch zum Thema, vor allem in den Kommentaren zur überragenden Bedeutung des Projekts. Mit der Zusammenlegung der beiden jetzt schon größten, finanzstärksten Binnenmärkte der Welt verschaffen sich die TTIP-Partner eine überlegene Machtposition gegen den Rest der Welt, insbesondere gegen die aufstrebenden Rivalen, die unter dem Akronym BRICS eine Kooperation an den etablierten Weltwirtschaftsmächten vorbei begonnen haben. Denn um die Beteiligung an dem neuen Super-Wirtschaftsraum kommt definitiv und auf unabsehbare Zeit keine Nation herum, die sich überhaupt mit einiger Aussicht auf erfolgreiches Kapitalwachstum auf dem Weltmarkt betätigen, i.e. ihren Firmen Zugang zu Kredit und Geschäftsgelegenheiten in größerem Umfang erschließen will. Damit fällt den politischen Sachwaltern des transatlantischen Geschäftslebens die Macht zu, die Zulassung zu ihren Märkten an Bedingungen zu knüpfen, die den diversen Mitgliedern der äußeren Staatenwelt die Fairnessregeln des westlichen Kapitalismus aufnötigen und in dieser Form das Kräfteverhältnis zwischen dem konkurrenzstarken Zentrum der Weltwirtschaft und der erst noch um ihre Konkurrenzfähigkeit kämpfenden Peripherie auf Dauer festschreiben. Dass es ihnen, in dem Punkt wirklich gemeinsam, darum geht, wird von den Protagonisten des Projekts werbewirksam bekannt gemacht: Laut Kanzlerin Merkel bietet TTIP die historische, wahrscheinlich aber auch historisch letztmalige Chance, die Weltwirtschaft an den wohltuenden Regeln der abendländischen Freiheit und der christlich-demokratischen Volksfürsorge auszurichten, bevor chinesische Kommunisten und korrupte Schwellenländer-Autokraten unfaire Vorschriften fürs weltweite Spekulieren und Geldverdienen durchsetzen. Der zuständige EU-Kommissar äußert sich entsprechend:

„Vielleicht der größte Wert des Abkommens liegt in unseren Beziehungen zum Rest der Welt. Warum? Weil die EU und die USA die größten Märkte und die einflussreichsten Standardsetzer der Welt sind. Jeder gemeinsame Ansatz wird diesen Einfluss verdoppeln. Und er kann die Regeln rund um die Welt gestalten, auch in Ländern wie Brasilien, Indien, China und Russland, wo heute Standards typischerweise viel niedriger sind als in den USA und der EU.“ (Karel de Gucht, 22.1.2014, Atlantik-Brücke, Düsseldorf)

Und der ehemaligen US-Außenministerin Clinton gefällt seit jeher die Idee einer „wirtschaftlichen NATO“.4)

Auf welche Regeln und was für Standards USA und EU sich einigen, ist für die hohe Bedeutung der geplanten Partnerschaft nicht weiter von Belang. Der Hinweis, dass die unsrigen „höher“ sind als die der externen Rivalen, langt schon, ebenso wie das Stirnrunzeln beim Verweis auf China oder Russland als alternative Systemadministratoren, für die Klarstellung, worum es eigentlich geht, nämlich um die Entscheidung, wer im zukünftigen Weltgeschäft die Zulassungsbedingungen setzt. Urheber der Geschäftsordnung des Weltkapitalismus, Garant ihrer Geltung und Schiedsrichter über allfällige Streitigkeiten muss der Westen sein, das steht fest; der unzweifelhaft beste Grund für TTIP ist, dass man damit den Rest der Staatenwelt vor vollendete Tatsachen stellt und so zu seinem Glück nötigt. Aufgekündigt wird damit immerhin eine ganze jahrzehntelang praktizierte Methode, eine brauchbare Ordnung ins Weltgeschäft zu bringen, mitsamt den darüber eingerissenen Gepflogenheiten des internationalen Geschäftslebens. Den Weg der GATT- resp. WTO-Runden, des Einvernehmens mit all den vielen Staatsgewalten, denen der Westen doch nur den Status von Erfüllungsgehilfen seiner Regie über Handel, Wandel und Finanzspekulation auf dem Globus zubilligt, der umständlichen Erpressungen und berechnenden Konzessionen an den Eigennutz fremder Souveräne, diesen Weg zu einem immer freieren globalen Kapitalismus wollen USA und EU nicht mehr gehen. Auch diese Runden waren – und sind – Machtproben, die der Westen mehr oder weniger für sich entschieden hat; die Art jedoch, sie zu entscheiden, unter der hinderlichen Bedingung eines gleichen Rechts für alle Beteiligten, ist den führenden Weltwirtschaftsmächten zu umständlich und zu kostspielig, das Ergebnis zu unzureichend und, soweit überhaupt positiv, zu unsicher. Und schon gar nicht taugt dieses Verfahren dazu, eine effektive weltwirtschaftliche Richtlinienkompetenz der dazu berufenen kapitalistischen Demokratien als unausweichlichen Sachzwang festzuschreiben.

Die unerledigte Frage nach dem Subjekt der weltwirtschaftlichen Richtlinienkompetenz

Was mit dieser Einigkeit nach außen, gegen Dritte, noch gar nicht erledigt ist, das ist die innere Seite der Machtprobe, die dem Rest der Welt damit angekündigt ist: der Gegensatz zwischen amerikanischem Führungsanspruch und europäischem Willen zur Gleichrangigkeit. Für die USA steht ihre Freiheit, vereinbarte Richtlinien in ihrem Sinn auszulegen, auch ausdrücklich davon abzuweichen, wenn höhere Gesichtspunkte wie das weit auslegbare Kriterium der „nationalen Sicherheit“ es gebieten:5) außer Frage; die europäischen Partner fürchten um ihre entsprechenden Befugnisse. Das Ringen um exklusive Wahrnehmung bzw. maßgebliche Mitentscheidung bei der Wahrnehmung der Kompetenz, über Zulässiges und Unzulässiges im transatlantischen Binnenmarkt und damit über die Geschäftsordnung für die Welt zu befinden und Urteile durchzusetzen, durchzieht den Verhandlungsprozess, ohne dass es sich an bestimmten Streitfragen festmachen, geschweige denn auf einzelne Punkte eingrenzen lässt. Nach dem Willen der Unterhändler soll das geplante Abkommen daher eine Schönheit an sich haben, die tatsächlich der Unlösbarkeit dieses Konflikts Rechnung trägt, nämlich die Einrichtung eines ständigen „strukturierten Dialog(s) in Regulierungsfragen zwischen EU und USA“: 6) Die nicht lösbare Streitfrage bewältigt man mit einem Verfahren, das den Interessengegensatz zwischen den so heftig aneinander interessierten Parteien vorweg in die einzelnen Fälle hinein auflöst, in denen er sich praktisch geltend macht; dann sieht man weiter. So gehört zur Partnerschaft der permanente Streit um die Auslegung des Vertrags bzw. eine schon vorab vereinbarte permanente Prüfung der Politik der Beteiligten an Geist und Buchstabe der Vereinbarung; mit der interessanten Folge, dass das Abkommen, selbst wenn es einmal in Kraft getreten ist, niemals fertig ist. Seine Autoren haben sich dafür den Titel „living agreement“ einfallen lassen, bei dem es sich eben nicht um einen einfachen völkerrechtlichen Vertrag handelt, sondern um eine dauerhafte, unkündbare neue Ordnung.

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Vielleicht einigen sich die Dollar- und die Euro-Imperialisten am Ende ja doch gar nicht auf ihre schöne neue Wirtschaftswelt. Wenn sie sich einigen, dann sind Widersprüche und Absurditäten einer gehobenen Güteklasse in ihre Partnerschaft konstitutiv mit eingebaut. Doch wie sonst könnte ein Unding wie ein gemeinschaftlich ausgeübter ziviler Imperialismus überhaupt existieren?!

 

1) Manche Kommentatoren schlagen da einen ganz hohen Ton an: Am Erfolg der Verhandlungen würde sich nicht weniger als „die Zukunft des Westens“ entscheiden. Wenn TTIP zustande käme, „würde es die strategische Einheit des Westens unterstreichen. Gegenwärtig droht TTIP stattdessen zum Anschauungsobjekt dafür zu werden, auf wie wenig die beiden Kontinente sich einigen können.“ (Philip Stephens, Financial Times 8.7.14).

2) Eine entsprechende Klausel im Text des inzwischen im Internet veröffentlichen „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA), das die EU mit Kanada verhandelt hat, setzt beides gleich, für das Schiedsverfahren des TTIP-Vertrages wird eine dem CETA-Text – der „Blaupause für TTIP“ (SZ-Dossier zu TTIP) – entsprechende Regelung erwartet. Damit erst gar keine Unklarheiten darüber aufkommen, was als „in Erwartung von Profit“ investiertes und daher zu schützendes privates Eigentum gilt, bietet das CETA-Abkommen eine erschöpfende Aufzählung (die entsprechend auch im TTIP-Text zu finden sein wird), die von ganzen Unternehmen oder Anteilen daran über alle sonstigen gegenständlichen oder nichtgegenständlichen Eigentumsrechte, darunter alles geistige Eigentum, bis zu allen Geld- und Kreditforderungen reicht. (CETA, Kap. 11, Art. X.3.)

 Das ISDS-Verfahren – so betonen die TTIP-Freunde – ist nichts Neues und schon gar keine Besonderheit von TTIP. Diese Art von internationaler Schlichtung gibt es seit 50 Jahren, seit bei der Weltbank in Washington das International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) eingerichtet wurde, das für die Durchführung der meisten dieser Schlichtungen zuständig ist. Dort hat sich die Zahl der verhandelten Fälle in den letzten zehn Jahren auf fast 600 verfünffacht; aus guten Gründen: Auf der einen Seite schreitet die Besichtigung und Benutzung des Globus durch die kapitalistische Firmenwelt tüchtig voran; einer Zusammenstellung der UNCTAD zu den bei den internationalen Schlichtungstribunalen anhängigen Investitionsschutzverfahren ist zu entnehmen, dass diese ganz überwiegend von amerikanischen und EU-Unternehmen angestrengt wurden. Auf der anderen Seite muss vielen Staatsgewalten – nicht zuletzt den neuen aus der ehemals sozialistisch regierten Welthälfte – der Respekt vor dem kapitalistischen Eigentum, das ihr Land zu seinem Standort erwählt, nicht bloß im allgemeinen nahegebracht, sondern gerade dann im einzelnen erklärt werden, wenn sie über die marktwirtschaftliche Entwicklung ihrer Nation kritisch Bilanz ziehen und in Versuchung geraten, eigene Interessen rechtlich geltend zu machen. Dasselbe UNCTAD-Papier listet auf, wodurch kapitalistische Unternehmen sich um den Verwertungsanspruch ihres Kapitals von Staats wegen betrogen sehen: u.a. durch „den Entzug von Lizenzen, den Bruch oder die einseitige Beendigung von Verträgen über Investitionen, wirtschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Finanzkrise, Maßnahmen der Umwelt- und Gesundheitspolitik sowie der Steuerpolitik, die Durchführung von Privatisierungen und sektoralen Wirtschaftsreformen, Verfahren nationaler Gerichte, Insolvenzen sowie Zahlungseinstellungen und Umschuldungen bei Staatsschuldverschreibungen.“ (UNCTAD IIA Issues Note, 2.6.2014 „Investor-State Dispute Settlement: An Information Note on the United States and the European Union“)

3) Von ARD-Reportern befragt, gibt EU-Handelskommissar de Gucht zu Protokoll:

„De Gucht: Es ist ganz offensichtlich, dass (TTIP) Wachstum schaffen wird und mehr Einkommen für unsere Bürger. Ich bin ziemlich sicher, dass es Hunderttausende neuer Arbeitsplätze bringen wird.

Reporter: Ihre eigene Studie spricht von einem Wachstum von 0,05 Prozent. Das ist
nicht der große Effekt, von dem Sie sprechen.
De Gucht: Lassen Sie uns unterbrechen! – Ist das die Studie, die wir bestellt haben?
Reporter: Das sind doch 0,049 Prozent hier, oder?
De Gucht: Zunächst einmal sollten wir nicht mit Prozenten argumentieren.
Reporter: Sie machen das, Entschuldigung!
De Gucht: Ich sage Ihnen, wir werden die meisten Handelshemmnisse in einer Vielzahl von Handelsbereichen abschaffen, das sage ich.“
(Der große Deal. Geheimakte Freihandelsabkommen, ARD, 4.8.2014)

 Der Mann weiß zu unterscheiden zwischen der Wachstumsbedingung, für die er zuständig ist und zu sorgen gedenkt, und dem bezifferten Effekt. Auf letzterem herumzureiten, hält er für kleinlich.

4) Entsprechende Statements steuern europäische Strategen bei: „TTIP kann die NATO erneuern. TTIP handelt nicht nur von Freihandel, es bringt Länder zusammen, die Vertrauen haben in die Institutionen des anderen und die bereit sind, ihren ‚way of life‘ gegen aufsteigende konkurrierende Mächte zu verteidigen.“ (Peter van Ham, The Geopolitics of TTIP, Clingendael Institute Policy Brief, Oktober 2013, S. 4)

 Ausführlicher formuliert ein amerikanischer Kollege: „TTIP wird die Regeln für die ganze Handelszone setzen, darunter alles von Regeln für Staatsbetriebe über geistige Eigentumsrechte bis zu staatlichen Subventionen. Mit einer so großen Handels- und Regelungszone, die die Bedingungen dafür setzt, wie Nicht-Mitglieder Zugang dazu haben (und die Strafen, wenn sie die Regeln nicht einhalten), werden Amerika und Europa die Regeln für den globalen Standard freier Marktwirtschaft setzen.

 Die Geschichte der Handelsbeziehungen zwischen China und anderen Ländern wird getrübt durch Klagen über Dumping, unsichere Produkte, anhaltende Verletzungen geistiger Eigentumsrechte, mit nur marginalen Folgen für Beijing. Die Schaffung eines massiven Handelsblocks hat das Potential, diese Dynamik zu ändern. Ein robustes TTIP-Abkommen bevorzugt US- und EU-Firmen, stärkt ihre Konkurrenzfähigkeit und steigert ihren Marktanteil. Chinesische Produkte im Wert von Milliarden Dollar würden weniger wettbewerbsfähig auf den US- und EU-Märkten. Chinas Exporte könnten im eigenen Land blockiert werden.

 Wird China die Herausforderung annehmen, im Zuge seines Wachstums die Normen eines entwickelten Kapitalismus zu übernehmen oder wird es fortfahren, internationale Standards zu verletzen? Kein einzelnes Land hat den Einfluss, China zur Einhaltung der Spielregeln zu überreden... Nur die TTIP-Zone könnte das. Sie würde China vor die Wahl stellen, mitzumachen oder ausgeschlossen zu sein.“ (Dan Grant: Transatlantic trade: Is China in or out?, The Hill Congressional Blog, 22. Juli 2013)

5) Ein Vorbild für den Konsens über einen derartigen Freibrief zur Abweichung liefert der Text des Vertrags mit Kanada: „Dieses Abkommen hindert eine Vertragspartei nicht daran, Maßnahmen zu ergreifen, um seine internationalen Verpflichtungen für die Aufrechterhaltung von internationalem Frieden und Sicherheit zu erfüllen.“ (CETA, Kap. 11, Art. X.05)

6) Das European Union Committee des House of Lords definiert The Purpose of the TTIP unter Nr. 228. so:

 „TTIP is in our view a political as well as an economic project, not least because it could serve to revitalise and rebalance the transatlantic relationship between Europe and the United States. One of its most important legacies may be the establishment of a structured dialogue on regulatory matters between the EU and US sustained into the future, through provisions for a living agreement. (Paragraph 74)“

 

 

 

3. Der Anklagepunkt der TTIP-Kritiker

Die Degradierung des Gemeinwohls zum Handelshemmnis

Die Freihandelsabkommen TTIP 1) mit den USA und CETA mit Kanada sowie das Diensthandelsabkommen TISA mit den USA werden in der politischen Öffentlichkeit heftig diskutiert. Politiker aller Parteien, die an der Aushandlung der Verträge mitwirken, die Geschäftswelt, deren Erfolgsbedingungen Gegenstand der Verträge sind, und Wirtschaftsexperten aller Couleurs wälzen die Frage, wie viel amerikanische Konkurrenz auf dem heimischen Markt das hiesige Geschäft belebt und wie groß im Gegenzug die Chancen auf Eroberung neuer Märkte in den USA für deutsche Branchen durch die Beseitigung amerikanischer Handelsbeschränkungen sind. Begibt sich die europäische bzw. deutsche Politik unerlässlicher Eingriffsmittel zur Förderung des eigenen Geschäfts und öffnet überlegenen amerikanischen Multis den europäischen Markt? Oder befreit sie durch das Abkommen Europas Unternehmen gerade umgekehrt von den Nachteilen eines kostenträchtigen politischen Vorschriftenwesens auf dem amerikanischen Standort? So ventilieren Macher und perspektivische Nutznießer von TTIP die Erfolgsaussichten für das nationale Wachstum. Auf jeden Fall, so der Tenor der Regierung, verleiht das Abkommen dem wechselseitigen Geschäftsverkehr zwischen den beiden weltwirtschaftlichen Großmächten einen qualitativen Schub, von dem am Ende beide Seiten nur profitieren können, und ist insofern ein unverzichtbarer Meilenstein politischer Wachstumsförderung. In diesem Sinne verkündet die Kanzlerin, dass es für Deutschland unabdingbar ist, "den Handel mit den USA zu fördern und ihn nicht Wettbewerbern aus anderen Weltregionen zu überlassen. An Ertrag wird es nicht mangeln." 2) Die politisch Zuständigen geben damit Auskunft über die prinzipielle Bedeutung und Zwecksetzung des geplanten politischen Abkommens: Ihnen geht es um eine umfassende Befreiung des zwischenstaatlichen Geschäftsverkehrs von nationalen Vorschriften und Regelungen, die sie bisher für nötig erachtet haben, jetzt aber sehr prinzipiell als Hindernisse geschäftlichen Wachstums ins Auge fassen, mithin um die Entfesselung der Konkurrenz ihrer weltweit agierenden Kapitale. Davon erwarten sie maßgebliche Fortschritte bei der Mehrung ihres nationalen Reichtums. Deswegen streiten sie dann auch ausgiebig darüber, wie die künftig für beide Seiten gültigen Erlaubnisse und Bedingungen des Geschäfts aussehen sollen, auf dessen Ertrag sie aus sind.

Dagegen melden sich die TTIP-Kritiker der verschiedenen Initiativen und Vereine mit der Frage: "Was bedeutet der Vertrag für uns?"3) ) aus der Position der Betroffenen, als umfassend Geschädigte. Sie beschwören - nicht minder prinzipiell - die "Gefahren" "für uns", also die Bürger im Land, und beklagen, dass die Definition von Handelsschranken, allen voran die sogenannten "nichttarifären Handelshemmnisse", die mit TTIP aus dem Weg geräumt werden sollen, einen generellen Angriff auf alle Lebensbedingungen darstellt. Kritisiert werden Eingriffe in Verbraucher- und Tierschutz, Kennzeichnungspflichten, Medikamentenzulassung, Datenschutz, Buchpreisbindung, öffentliche Ausschreibungsverfahren, Wasserversorgung und andere öffentliche Dienstleistungen, in das Arbeitsrecht und überhaupt in die nationale Rechtshoheit, weil TTIP privaten Firmen erlaubt, gegen Beschränkungen ihrer geschäftlichen Aktivitäten durch den ansässigen Staat vor einem eigenen Schiedsgericht zu klagen. Kurz:

"TTIP verändert, sofern es umgesetzt wird, fast alle Bereiche des Lebens. Vom Krankenhaus in Ihrer Kommune bis hin zu den Pflanzen, die in Zukunft auf den Feldern Ihrer Umgebung angebaut werden dürfen. TTIP wird damit zentrale Bereiche unseres Lebens, der Arbeit und Produktion neu regeln", und mit "verändern" - und mit "neu regeln" meinen sie: verschlechtern.4) "Als Handelshemmnis können die Vertragspartner alles definieren." (campact).

Mit Kampagnen wie "Ich bin ein Handelshemmnis!" 5) geben sie ihrer Verbitterung Ausdruck, dass die Politik mit TTIP die Belange der Bevölkerung der Förderung des Geschäfts opfert, weil sie lauter Schranken beseitigt, die dem Schutz von elementaren Bürgerinteressen dienen. Das sollte, das dürfte nicht sein!

Wovon die TTIP-Kritik ausgeht

Es liegt in der Logik der Freihandelskritik aus der Perspektive der Betroffenen, dass, wer den Wegfall von Schranken für den Geschäftsverkehr zwischen Staaten für prinzipiell schädlich erachtet, davon ausgeht, dass dieser Wegfall Interessen entfesselt, die längst existieren und sich betätigen und von denen die befürchteten schädlichen Wirkungen für alle Lebensbereiche ausgehen. Tatsächlich argumentiert die TTIP-Kritik mit der Gewissheit, dass die Produktion ebenso wie der Vertrieb von Waren einem anderen Erfolgsmaßstab folgen als dem Bedarf der Verbraucher nach ordentlichen und umweltgerechten Gebrauchsgegenständen: Gleichgültig in welcher Konsumentenrolle, man kriegt es mit Schadstoffen zu tun; mit den Arbeitskräften im In- und Ausland wird rücksichtslos umgesprungen; Flüsse werden verdreckt, die Luft wird verpestet; Gentechnik und andere Produktionsverfahren werden angewandt, deren Auswirkungen auf Mensch und Natur ungeklärt sind... Die Liste der bereits eingetretenen und mit dem Wegfall von Schranken der geschäftlichen Freiheit zusätzlich befürchteten Gefahren ist schie endlos. Mit deren Umfang, mit Warnungen vor der Privatisierung des Geschäfts mit elementaren Lebensmitteln wie etwa Trinkwasser tun die TTIP-Kritiker kund, dass sie von einer systematischen und keinesfalls singulären oder ungewollten Rücksichtslosigkeit gegenüber den Bürgern als Konsumenten und Arbeitenden durch die Geschäfts- und Handelswelt ausgehen. Das alles ist ganz offensichtlich rational vom Standpunkt der Unternehmen, die den Warenmarkt mit Produkten bestücken, die vor allem eines leisten müssen: Sie müssen der Firma Gewinn einspielen - alles andere ist diesem Hauptzweck untergeordnet, wird als Kosten kalkuliert, die es möglichst niedrig zu halten gilt.

Die Kritiker glauben selbst auch keinen Moment lang daran, "die Konzerne" und deren "Gewinninteressen", in denen sie den treibenden Motor der Schädigungen erkennen, könnten aus freien Stücken auf ihre Geschäftspraktiken verzichten, bei denen "unsere Lebensmittel" zuschanden werden; sie gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass man sie dazu nötigen muss. Sie adressieren ihren Protest ja von vornherein nicht an die lieben Unternehmer, die nach allgemeiner Übereinkunft für die "Versorgung" der Gesellschaft mit nützlichem Zeug zuständig sind, sondern an die Staatsgewalt: Die soll dafür sorgen, dass Bekömmliches auf den Tisch kommt; und zwar dadurch, dass sie dem Gewinninteresse Schranken setzt bzw. die Schranken, die es bereits gibt, aufrechterhält. In der staatlichen Macht sehen sie die einzige Instanz, die diese Akteure dazu zwingen kann, bei der Verfolgung ihrer Wirtschaftsinteressen eine gewisse - kostenträchtige, also gewinnmindernde - Berücksichtigung der Wirkungen ihres Wirtschaftens auf Land und Leute einzukalkulieren.

Mit ihrem Anliegen "TTIP verhindern!" halten sich die Kritiker bei ihrem Befund über die systematische Rücksichtslosigkeit des Geschäfts also nicht lange auf. Sie beschäftigen sich gar nicht weiter mit der Frage nach der Natur des herrschenden "Gewinninteresses", nach dessen systemischen Gründen, woher es seine Macht bezieht, die gesamte Gesellschaft von seinen geschäftlichen Notwendigkeiten abhängig zu machen: Man zielt nicht auf die Beseitigung der Quelle der beklagten Folgen kapitalistischer Geschäftstätigkeit, sondern auf eine staatliche Beschränkung bei der Wahrnehmung der Interessen, die diese Wirkungen zeitigen.

Der Staat: die ewig versagende Ausgleichsmacht

Der Tatsache, dass die Politik den Umgang mit Mensch und Natur unter ihrer Hoheit gesetzlich regelt, Grenzwerte für die Verwendung von und die Belastung mit Schadstoffen festlegt, Verfahren für die Zulassung von Chemikalien und Medikamenten vorschreibt, einen rechtlichen Rahmen für Art und Umfang der betrieblichen Verwendung wie auch für die Freisetzung von Arbeitskräften schafft - all dem entnehmen die Kritiker, dass der Staat die richtige Adresse für ihren Antrag ist, dem Walten des Geschäfts Schranken zu setzen. Ihm trauen sie zu, dass er der Profitmacherei Grenzen ziehen kann, dass er also die Macht ist, die über der ökonomischen Macht des Geldes steht. Nicht auffallen will ihnen, dass diese Macht es dann aber offensichtlich auch ist, die die privaten Gewinninteressen zuallererst dazu ermächtigt, die Gesellschaft zum Mittel ihrer Bereicherung zu machen. Die staatliche Reglementierung der unternehmerischen Gewinnansprüche setzt schließlich deren unwiderrufliche, rechtlich gesicherte Geltung voraus. Die Anträge der TTIP-Gegner auf ein wirksames staatliches Eingreifen bemerken an seiner Regelungsmacht aber immer nur die einhegende Seite, also die Reaktion auf die ruinösen Folgen der Geschäftsinteressen in der Gesellschaft. Den Staat nehmen sie einzig und allein als eine Schutzmacht im Interesse der Betroffenen wahr.

Mit ihren Klagen über die ruinösen Wirkungen des Geschäfts, die durch staatliches Eingreifen zu korrigieren seien, nehmen die Kritiker also beides, die Geldrechnungen, die sie für ihre langen Listen der Schäden haftbar machen, und das staatliche Wirken, das diese Schäden unterbinden soll, eigentümlich unernst. An der Geschäftswelt monieren sie die allzu große Freiheit eines an sich legitimen privaten Bereicherungsinteresses, die nach ihrem Dafürhalten nach staatlichen Korrekturen verlangt. Die staatliche Hoheit wiederum, die diese Freiheit stiftet, legen sie sich als nützliche Instanz zurecht, die den beschädigten Interessen der Bürgermehrheit Berücksichtigung zu verschaffen und so für einen 'Ausgleich' zwischen privater Geldgier und allgemeinem Wohlergehen zu sorgen hätte. Diesen Auftrag, den sie mit mehr oder weniger großen Worten über "sozialen Ausgleich und ökologische Politik" 6) und eine "große sozial-ökologische Transformation, die für eine die Umwelt und die menschliche Gesundheit schützende Produktion und Wirtschaftsweise in den natürlichen Grenzen dringend erforderlich ist",7) als "Herkulesaufgabe" (attac, S. 7) vorstellig machen, soll die Politik zum Leitfaden ihres Handelns machen.

Damit missverstehen sie gründlich die Gesichtspunkte und Zwecke, denen all die einschlägigen Vorschriften, Eingriffe und Standortmaßnahmen des Staates dienen. Der 'Ausgleich' zwischen den Interessen, den es tatsächlich gibt, wird schließlich von einer Politik bestimmt, die die Macht der kapitalistischen Wirtschaft will und stiftet. Sie kennt die ruinösen Wirkungen der Profitmacherei und schreibt den Kapitalisten mit ihren Kostenrechnungen deswegen Rücksichtnahmen vor, die sie für den Fortgang der Konkurrenz auf ihrem Standort für nötig hält - und sie nimmt deswegen bei all ihren Regelungen immer auch Rücksicht auf die Gewinnrechnungen, die ja nicht beschädigt werden sollen, sondern dauerhaft aufgehen sollen. Die Rede vom "Ausgleich" ist dafür die beschönigende Floskel.

Dass der gewünschte Ausgleich den bleibenden Gegensatz zwischen den Bedürfnissen der 'Wirtschaft' und denen der Bürger unterstellt und nie so zustande kommt, wie die Anhänger der 'Versöhnung von Ökologie und Ökonomie' sich das vorstellen, lässt sie an ihrer Aufgabenbeschreibung nicht zweifeln. Wo immer sie darauf stoßen, dass die Standards, Auflagen und Regelungen, die der Staat dem Geschäft vorgibt, und alle Maßnahmen, mit denen er seinen nationalen Kapitalstandort bewirtschaftet, den Schutz gar nicht gewährleisten, also auch nicht zum bestimmenden Zweck haben, den sie hineinlesen und erwarten, beklagen sie Versäumnisse und Unterlassungen der Politik und registrieren einen immer noch unerledigten, 'noch nicht' ordentlich in Angriff genommenen Zukunftsauftrag. Das Register unhaltbarer Zustände, die sie im Land identifizieren, ist lang:

"Wir brauchen keine niedrigeren, sondern höhere Schutzstandards, ob es nun den Einsatz von Pestiziden, die Massentierhaltung oder saubere Energiequellen angeht." 8)

"Die EU-Umweltpolitik [ist] in vielen Punkten weit entfernt von nachhaltigkeitskonformen Zuständen [...] nicht nur bei Klimagasen und Ressourcenverbräuchen, sondern auch beim Schutz vor Schadstoffen wie etwa Feinstaub." (BUND, S. 14)

"Die soziale Abwärtsspirale dreht sich schneller", die "soziale Spaltung nimmt zu", "dringend notwendige Verbesserungen werden verhindert", "jetzt schon [leiden] Personal und Patienten" unter der Privatisierung der Krankenhäuser und dem dort herrschenden "Konkurrenzdruck", "heute schon" herrscht ein "hohe(r) Druck auf Löhne, Arbeits- und Umweltbedingungen." (BUND, S. 21 und 17)

Alles, was die Gegner von TTIP an mehr oder weniger skandalösen Zuständen entdeckt haben wollen, legen sie sich als Indiz des Versagens der politischen Macht zurecht - und wenn derselbe Staat sich jetzt auch noch auf ein umfassendes Freihandels-Regime verpflichtet, verbaut er sich in ihren Augen die Chance, die konstatierten Defizite zu beheben und so seine 'Fehler' auszubügeln.

TTIP - ein großer Schritt in die ganz falsche Richtung:
"Verkauft nicht unsere Zukunft!"

Die Kritiker entdecken im Niederreißen von "nichttarifären Handelshemmnissen", das mit TTIP droht, den endgültigen Verzicht auf das gute Regulierungswerk, mit dem sie den Staat beauftragt haben:

"Ziel des TTIP ist es ... 'besser' zu deregulieren als in den WTO-Verträgen. Es geht um weitere 'Freiheiten' für das Kapital, was umgekehrt den Rückzug des Öffentlichen oder der öffentlichen Hand und den Abbau von umwelt- und sozialpolitischen Regeln zur Folge haben wird." (Attac, S. 17)

Das ins Auge gefasste umfangreiche politische Regelwerk, das der Neujustierung der zwischenstaatlichen Konkurrenz dient, fassen die TTIP-Kritiker mit dem Vorwurf der "Deregulierung" so auf, als würde sich der Staat künftig überhaupt aus der Wirtschaft heraushalten. Sie sind konfrontiert damit, dass Amerikas und Europas Staaten in Hunderten von Paragraphen um neue Rechtsregeln für den Geschäftsverkehr zwischen ihnen ringen - und weil sie darin die Abkehr vom guten Sinn staatlicher Regeln erblicken, fassen sie den ganzen Verhandlungsprozess als eine einzige Etablierung von Regellosigkeit. Sie können in einem Atemzug aufsagen, dass die Konzerne "den Staat raushalten" und gleichzeitig ihre Interessen "rechtlich verankern" 9) wollen, ohne zu bemerken, dass diese 'Verankerung' die Instanz verlangt, die eben diese Interessen rechtsverbindlich und damit auch zum bleibenden Objekt ihrer Beaufsichtigung macht.

Zwar haben die Kritiker bisher an den bestehenden "umwelt- und sozialpolitischen Standards" wenig Begrüßenswertes gefunden, aber jetzt, in Anbetracht der mit TTIP geplanten Entschränkung der internationalen Konkurrenz, erscheinen ihnen dieselben Standards als ein "Immerhin", das es mit dem Schlachtruf "TTIP verhindern!" zu verteidigen gilt. Mit TTIP werden nicht gute, sondern schlechte Lebensverhältnisse noch schlechter. Aber angesichts der "Verschärfung", die TTIP bringt, erscheint ihnen die gegenwärtige Misere als vergleichsweise akzeptabel: Immerhin greift der Staat ein, immerhin gibt es überhaupt Regelungen, mögen sie auch noch so miserabel sein, mögen sie auch statt Bürgerschutz und Bürgerwohl ganz andere Interessen fördern. Immerhin: Kapitalisten dürfen nicht alles. Sondern nur das, was nicht verboten ist. Eine grandiose Errungenschaft, die die eben noch unerträgliche Schädigung der Leute und Verschmutzung der Umwelt fast vergessen lässt: Jetzt werden "einige unserer wertvollsten Sozialstandards und Umweltvorschriften" (BUND, S. 14) geopfert. 10)

Bestätigt sehen sich die TTIP-Gegner durch den Blick über den Atlantik. Dort entdecken sie die Zustände, die die europäischen Verhältnisse in ein besseres Licht rücken:

"Umweltschutz ist in der EU nicht immer spitze. Doch immerhin gibt es noch das 'Vorsorgeprinzip'." "Auch wenn es in der EU immer wieder Lebensmittelskandale gibt. Es gelten strengere Vorschriften und Deklarationspflichten als in den USA - etwa für gentechnisch veränderte Stoffe in Futtermitteln ..." (Die Linke, S. 11 und 13)

So machen sie sich mit ihrer 'Immerhin'-Logik dafür stark, dass die Regierung das in Frage gestellte europäisch-deutsche Regelwerk standhaft gegen 'amerikanische' Geschäftsprinzipien behauptet. Da muss man die Bestimmungen der unterschiedlichen Standortregelungen gar nicht im Einzelnen ernsthaft prüfen. Mögen die Protestierer an der staatlichen Organisation der Lebensbedingungen auf dem nationalen Kapitalstandort noch so viel auszusetzen haben, eines steht fest: Der Blick auf die in den USA herrschenden Geschäftssitten bestätigt ein weiteres Mal, dass Europa viel zu verteidigen hat.

So machen sich die Kritiker stark für den Erhalt staatlicher Regelungen, in denen sie ihre Interessen gar nicht zureichend bedient sehen: Im Vergleich mit TTIP, das ganz in die "falsche Richtung" zielt,11)) sind ihnen die europäischen Vorschriften zum Schutz der Natur und des Verbrauchers allemal lieber - nicht, weil sie in ihrem Sinne wirklich wirksam wären, sondern weil sie fest daran glauben, dass sich aus unseren Gesetzen etwas Besseres und Wirksames machen ließe. Sie dichten staatlichem Handeln die Bestimmung an, 'Herausforderungen' zu bewältigen, und sortieren die wirkliche staatliche Praxis nach besseren, schlechteren und ganz schlechten Ansätzen. So gesehen ist TTIP eine einzige Fehlanzeige hinsichtlich der staatlichen Zukunftsaufgaben, die sie im jetzigen Zustand zwar 'noch nicht', aber damit, dass der Staat überhaupt 'reguliert', 'immerhin' schon ein wenig in die richtige Richtung angepackt sehen.

Lauter falsche Versprechungen: weder Wachstum noch Arbeitsplätze!

Deswegen nehmen Kritiker auch die staatliche Agitation, mit der für TTIP geworben wird - die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Hebung des allgemeinen Wohlstands hochgerechnet auf einige Hundert Euro pro Einwohner ... - ernster als die Politik, die sie veranstaltet. Wenn die Regierung das angestrebte Geschäftswachstum und die Mehrung nationalen Reichtums in Bilder bürgerdienlicher Fortschritte von Handel und Wandel übersetzt, von denen schließlich der arbeitende und Geld verdienende Bürger abhängig ist, also auch nur profitieren kann, dann klingt das in den Ohren der TTIP-Kritiker wie ein Versprechen:

"Versprochen wird - wie so oft - mehr Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze." (Die Linke, S. 4)

Dass 'Arbeitsplätze' im Prinzip ein 'Gut' darstellen, weil sie die Lebensperspektive der von der Wirtschaft Abhängigen sind, daran haben sie keinen Zweifel - als gutes Argument für TTIP wollen sie es aber nicht gelten lassen.12) Sie sehen in diesem Versprechen reine politische Propaganda irgendwo zwischen Falschrechnung und vorsätzlicher Täuschung:

"Die Befürworter des Abkommens beschwören Millionen neuer Jobs, gesteigertes Wirtschaftswachstum und - Achtung, Werbestrategie! - einen Einkommenszuwachs von bis zu 545 Euro pro 4-Personen-Haushalt."13)

Zum Beweis ihres Verdachts fragen sie nach: "Wie viele Arbeitsplätze und wie viel Wachstum bringt der Vertrag?" (campact), und entlarven, dass die behaupteten Wachstums-, Wohlstands- und Arbeitsplatzeffekte ganz und gar unrealistisch sind. Sie bemühen wissenschaftliche Gegenstudien, die mit komplizierten makroökonomischen Modellen ausrechnen, dass in Europa das versprochene Wachstum ausbleiben wird, jede Menge kleinerer und regionaler Firmen pleite- und hunderttausende von Arbeitsplätzen verlorengehen:

"In Europa kostet TTIP 583 000 Arbeitsplätze, in Deutschland allein gehen 134 000 Jobs verloren." (campact).

Ein von Handelshemmnissen befreites Geschäft mehrt nicht, sondern schädigt - so ihr Befund - das, was es zu vermehren verspricht: den sehr klassenneutral aufgefassten 'Wohlstand' im Land in Gestalt von "Wachstum" und "Arbeitsplätzen".14)

Vor lauter Rechnen und Gegenrechnen, vor lauter Entlarven des "Freihandelsbluffs" (Attac) sehen die Kritiker darüber hinweg, was da eigentlich versprochen wird. Was ist denn das Wachstum anderes als die national bilanzierte Summe der Erträge jener, die überhaupt etwas zum Wachstum beizutragen haben, also der privaten Geschäftsleute? Vom Wachstum dieser Geschäfte ist tatsächlich alles abhängig, aber ist es deswegen auch schon eine positive Lebensbedingung? Arbeitsplätze sind in der Tat für die Mehrzahl die einzige überhaupt erreichbare Einkommensquelle, aber taugen sie deshalb auch schon für die, die daran arbeiten müssen? Auch den TTIP-Kritikern ist bekannt, dass 'Arbeitsplätze' alles andere als eine Verheißung darstellen, weil sie dem Kriterium der Rentabilität, der lohnenden, also niedrig zu haltenden Arbeitskosten gehorchen. Sie äußern ja die Sorge, dass die Arbeitsverhältnisse im Zuge des Freihandelsabkommens 'prekärer', Mindestlöhne ausgehebelt und durch Niedriglöhne ersetzt werden. Sie berichten von den Folgen der Kalkulation mit rentablen Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA, und können doch zugleich "Wohlstand und Arbeitsplatz" sagen.15) Denn gemäß der Logik des 'immer schlimmer' halten sie nicht den gültigen Maßstab fest, dem die Schaffung und Abschaffung von Arbeitsplätzen gehorcht, sondern schreiben die Konsequenzen der geltenden Rentabilitätsrechnungen dem Abkommen und den mit ihm eröffneten neuen Freiheiten des 'großen' Kapitals zu. Nicht was da "verschärft" wird und warum der Fortschritt kapitalistischen Wachstums immerzu die Lebenslagen der Arbeitenden prekär macht, fassen sie ins Auge, sondern dass mit TTIP bisherige Beschäftigungsverhältnisse verschlechtert werden. So verwandeln sich die existierenden Ausbeutungsverhältnisse in ein Ensemble nationaler Arbeitsplätze ganz ohne negative Konnotation: Im Lichte von TTIP sind das "anständig bezahlte Jobs", die leider "mehr und mehr" verdrängt werden. (campact) Die Abhängigkeit der Mehrheit davon, dass kleine wie große Unternehmen sie für ihren Geschäftserfolg anwenden, mutiert zu einer großartigen Dienstleistung, die die Geschäftswelt den Leuten schuldet und die der Staat zu fördern hat, die aber beide mit TTIP definitiv schuldig bleiben.

Verzicht auf staatliche "Gestaltungsmacht" und Ermächtigung
der Falschen

Für dieses politische Versagen wissen sie auch den Grund: Die Politiker machen sich zum Instrument der falschen Interessen, die die TTIP-Gegner als 'rücksichtslose Bereicherungsinteressen', als personifiziertes Gegenbild einer guten Wirtschaft identifizieren. Sie begeben sich der positiven 'Gestaltungsmacht', die die Kritiker der hoheitlichen Gewalt attestieren und die sie - eigentlich - auf den Auftrag verpflichten soll, die gegensätzlichen privaten Interessen in der Gesellschaft auf ein positives Zusammenwirken hin zu organisieren. Damit spitzt sich die Kritik auf ihren ultimativen Vorwurf zu: Sehenden Auges gehen die politisch Verantwortlichen einen Weg, der zu ihrer schleichenden Entmachtung führt - und nahtlos geht die Befürwortung des Status quo bei den TTIP-Kritikern in die Sorge um die Souveränität ihres Staats über.

- Sie warnen vor dem schädlichen Einfluss von "einigen hundert Industrielobbyisten", die an den Verhandlungen über TTIP beteiligt sind und damit 'einseitig' Einfluss nehmen 16) und ihre Interessen direkt in die Verträge diktieren.17) Die Tatsache, dass die Verhandlungen "wie Staatsgeheimnisse gehütet" werden und die "Bevölkerung nur durch unerlaubt veröffentlichte Dokumente" von den näheren Verhandlungsgegenständen erfährt, gilt ihnen als Beweis dafür, dass mit ihnen auch gleich der Staat in Gestalt "demokratisch gewählter Volksvertreter" aus den Verhandlungen ausgemischt ist: Ausgerechnet in einem Streit, in dem zwei Seiten, das europäische Staatenkollektiv und die Weltmacht USA, auf höchster politischer Ebene um die für sie jeweils besseren Bedingungen ihrer Standortkonkurrenz ringen, entdecken sie nur noch ein Komplott zwischen ominösen, jeder demokratischen Aufsicht entzogenen Unterhändlern und nicht minder zwielichtigen Lobbyisten der "Großindustrie".

- Die staatliche Handlungsfreiheit sehen die TTIP-Kritiker durch das vorgesehene Recht der Konzerne bedroht, vor unabhängigen Schiedsgerichten gegen erwartete Gewinneinbußen klagen zu können, die durch staatliche Entscheidungen verursacht werden:

"In diesem System entscheiden keine ordentlichen Gerichte, sondern private, hochbezahlte Juristen. Unabhängigkeit, Rechenschaftspflichten oder Revisionsmöglichkeiten gibt es nicht. Die Zahl solcher Schiedsverfahren steigt weltweit und oft geht es um milliardenschwere Entschädigungsforderungen, vom Steuerzahler zu begleichen. Eine weitere Zunahme möglicher Verfahren hätte unweigerlich eine 'disziplinierende' Wirkung auf Regierungen: lieber auf Verbesserungen im Verbraucherschutz, im Sozial- oder Umweltbereich etc. verzichten, als sich mit Großkonzernen anzulegen." 18)

Wie weit die Selbstverpflichtung der Staaten auf Rechte der Konzerne gegen ihre eigenen Standortvorbehalte reichen soll, darüber streiten die Staaten gerade. Um den Inhalt dieses Streits kümmert sich Attac nicht weiter, um seine "unweigerlichen" Folgen schon: Die bestehen in der abenteuerlichen Annahme, Europa könnte sich durch seine eigenen Regelungen zur Verabschiedung von allen guten Zwecken erpressen lassen, die europäischer Politik offenbar dem Wesen nach einbeschrieben sind.

- Als besonders bedrohlich gilt den TTIP-Kritikern der Plan, künftig Gesetze vor ihrer Verabschiedung und vor aller parlamentarischen Diskussion auf die Übereinstimmung mit TTIP hin zu prüfen:

"Jede künftige Verschärfung von Grenzwerten für Zusatzstoffe in Lebensmitteln oder Schadstoffemissionen aufgrund neuer Erkenntnisse soll dann auf ihre Vereinbarkeit mit dem Freihandelsabkommen abgeklopft werden." (Die Linke, S. 13)

Hinzu kommt das Prinzip, dass einmal Vereinbartes nicht revidiert werden kann:

"TTIP ist praktisch unumkehrbar: Einmal beschlossen, sind die Verträge für gewählte Politiker nicht mehr zu ändern. Denn bei jeder Änderung müssen alle Vertragspartner zustimmen. Deutschland allein könnte aus dem Vertrag auch nicht aussteigen, da die EU den Vertrag abschließt." (campact)19)

Wem sagen die Kritiker das eigentlich? Genau daran, Verhandlungsergebnisse rechtlich verbindlich festzuschreiben, haben die politischen Veranstalter ein Interesse, weil sie darauf setzen, ihren Verhandlungspartner dauerhaft auf die für den eigenen Erfolg als günstig eingeschätzten Vereinbarungen zu verpflichten. Dass Staaten um des erwarteten Zugewinns an Reichtum und Macht willen ihre nationale Entscheidungsfreiheit relativieren und im Prinzip keine anderen Bedingungen für ihren Erfolg mehr kennen wollen als die Konkurrenzfähigkeit ihres Kapitals - das erscheint diesen Kritikern als unwiderrufliche Selbstaufgabe der Politik, als eine durch die Politiker herbeigeführte Selbstentmachtung des Staats. Den haben sie sich ja als Schutzmacht gegen die Geschäftsinteressen zurechtkonstruiert, die ihr Staat gerade freisetzen will - das können diese kritischen Moralisten des guten Staates endgültig nicht mehr fassen und erklären ihre Fassungslosigkeit zum Begriff der Sache: Die Politik hebt "das transnationale Kapital praktisch auf eine Ebene mit dem Nationalstaat." 20)

Die drohende Auslieferung an die USA

Politische Selbstaufgabe Deutschlands und Europas entdecken die TTIP-Kritiker noch in einem fundamentaleren Sinn: Hinter TTIP steckt die Macht der USA mit multinationalen Konzernen als Speerspitze. Alle an die Wand gemalten schädlichen Wirkungen des Freihandelsabkommens, gegen die die TTIP-Kritiker antreten, erschließen sich ihnen als amerikanischer Anschlag auf europäische Verhältnisse:

"US-Produkte müssten nicht mehr europäische Verbraucherschutz- und Tierschutzstandards einhalten, um in der EU verkauft zu werden. Damit EU-Unternehmen dann nicht benachteiligt sind, müssten die Standards hierzulande gesenkt werden." (campact)

Da haben die Kritiker volles Verständnis für die Sorgen der heimischen Konzerne um ihren Erfolg in der Konkurrenz, weil sie in ihrer Not, sich gegen Angriffe amerikanischer Multis behaupten zu müssen, gar nicht anders können als deren Geschäftsmethoden zu übernehmen und sich diese deshalb von ihrem Staat genehmigen lassen wollen. Hinter diesen Multis steht die amerikanische Staatsmacht selbst, die auf hierzulande geltende Regelwerke übergreift und Europa die Geschäftsprinzipien implantiert, die dem US-Kapital Konkurrenzvorteile sichert. Die Kritik an der freiwilligen Übergabe staatlicher Macht an internationale Konzerne landet am Ende bei der Entdeckung, dass hinter diesen Konzernen doch eine politische Macht steht, die, indem sie ihnen dient, sich ihrer bedient: Das amerikanische "Mutterland der Deregulierung und Marktliberalisierung" (Die Linke), die Heimstatt all des Schlechten, das mit den Schlagworten 'Globalisierung', 'Multis' und 'Neoliberalismus' für empörte Gemüter schon so ziemlich auf den Begriff gebracht ist, greift auf Europa zu. Nicht wenige der TTIP-Kritiker, die mit Beschwerden über die immer schlechter werdenden Lebensverhältnisse im Land antreten, ergreifen so mit einem wenig alternativen Antiamerikanismus Partei für 'ihr' Land und warnen 'ihre' Politiker: Gegen amerikanische Übergriffe haben sie ihre nationale Handlungsfreiheit zu verteidigen anstatt sie Amerika auszuliefern.

Protest und Politik: Ein konstruktiver demokratischer Dialog

Wie bei jedem Protest, so haben auch die TTIP-Gegner das Problem, sich Gehör zu verschaffen, und das packen sie an: Man muss nur alles, was sie gegen "die Skandalverhandlungen" einzuwenden haben, öffentlich machen, die negativen Auswirkungen des geplanten Abkommens für die Allgemeinheit gebührend an den Pranger stellen und Unterschriften sammeln, mit denen TTIP eine Absage erteilt wird und die Politiker und Parlamente mit einem Nein von unten dazu aufgefordert werden, selber Nein zu sagen. Dass die Verhandlungen von der EU-Kommission unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden, beweist ihnen nur, dass hier bewusst das 'Licht der Öffentlichkeit' gescheut wird - dass also dann, wenn das Abkommen an dieses 'Licht' gebracht wird, sich unweigerlich allgemeiner Widerstand gegen es regen wird. Die große Mehrheit der demokratischen Bürger, die große 99 %-Gemeinschaft der Geschädigten, zu denen sie auch "Kommunalpolitiker, Bauern und auch kleine Unternehmer" (campact) rechnen, muss nur erfahren, was dort für 1 % Nutznießer verhandelt wird - schon steht der Protest, der am Ende auch Eindruck auf die Politik machen und sie von ihrem verkehrten Weg abbringen wird.

In diesem Glauben sehen sich die Kritiker gleich doppelt bestätigt. Einmal durch die öffentlichen Beschwerden von Oppositionspolitikern und Journalisten, die über die Verhandlungen der Brüsseler Behörde hinter verschlossenen Türen klagen und bemängeln, dass sie als nationale Entscheidungsträger und demokratische Begutachter in die Beratungen über diese für die eigene Nation entscheidende Angelegenheit nicht einbezogen sind. Mit ihren Beschwerden an der richtigen Adresse und zu Hoffnungen auf ein Scheitern von TTIP berechtigt sehen sich die Protestierer zum anderen durch den Umstand, dass die ganze Angelegenheit in den Reihen der Politik selbst umstritten ist. Nicht nur bei der Linken - "TTIP kann scheitern! Im Europäischen Parlament und im Bundestag!" (Die Linke, S. 5) -, auch in der SPD und da nicht zuletzt in Gestalt des für die TTIP-Materie zuständigen Wirtschaftsministers äußert man gewichtige Einwände gegen das Vertragswerk. Die betreffen vor allem den Punkt, in dem auch für die TTIP-Gegner die Kritik gipfelt: die Schiedsgerichte. Die Sorge der politisch Verantwortlichen, ob sie da nicht zuviel Entscheidungshoheit über standortpolitische Belange aus der Hand geben, deckt sich zwar nicht mit den Einwänden der TTIP-Gegner, die an den Schiedsgerichten die freiwillige Preisgabe aller Möglichkeiten bürgernahen staatlichen Wirkens kritisieren. Aber jedes ernste Bedenken der politischen Entscheidungsträger, an die der Protest den Auftrag "TTIP verhindern!" ja delegiert hat, nährt die Hoffnung, dass die - aus welchen Gründen auch immer - den Vertrag scheitern lassen. Denn Gabriel & Co. nehmen die vorgetragenen Einwände ja auch gerne als Appell an ihre 'Verantwortung' auf und nehmen sich, wie es sich für demokratische Politiker in solchen Fällen gehört, der 'Sorgen' der kritischen Bürger demonstrativ an. Der zuständige Wirtschaftsminister bekundet öffentlich Verständnis für Einwände, die bei ihm schon in den richtigen Händen sind - und rückt sie damit auch gleich zurecht:

"Manche Sorgen teilt er, andere nicht. Manches ist gar nicht Gegenstand der Verhandlungen, anderes faktisch schon erledigt", vor allem aber: "Privaten Schiedsgerichten werden wir nicht zustimmen." (SZ, 26.8.15)

So vereinnahmt der führende SPD-Politiker den Protest für seine politischen Rechnungen mit den Vor- und Nachteilen des Vertragswerks - und weist ihn damit zugleich zurück.

Dem entnehmen die TTIP-Gegner, dass auch die Politik nicht umhinkommt, ihren Einwänden, wenigstens ein Stück weit, Recht zu geben - und überhören beim Kampf um noch mehr politische Beachtung von Bedenken betroffener Bürger komplett, worum sich die Bedenken deutscher Politiker wirklich drehen:

"Selbst das starke Deutschland wird in ein paar Jahren gegenüber den neuen Riesen in der Welt - China, Indien, Lateinamerika - zu klein sein, um gehört zu werden. [...] Selbst als Europäer alleine sind wir zu klein, denn der Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung sinkt. In China und Indien leben heute 2,6 Milliarden Menschen, im Jahr 2050 werden es drei Milliarden sein. In Deutschland schrumpfen wir dagegen von heute 80 Millionen auf dann 75 Millionen. Die Welt wächst in Asien und sie wird kleiner bei uns. Die Chinesen sprechen selbstbewusst von einem "asiatischen Jahrhundert". Wenn wir also die Balance in der Welt halten wollen, brauchen wir Partner. Zuallererst die USA."21)

So reicht der Wirtschaftsminister den TTIP-Kritikern ihre Sorge um die staatliche 'Gestaltungsmacht' zurück: Was sind schon zwei Millionen Unterschriften gegen die drohende Macht von Milliarden Chinesen, deren Führer auf dem Sprung sind, zum ökonomischen Riesen und zur bestimmenden Macht über die Regeln des Weltmarkts aufzusteigen! Das kann man Gabriel also abnehmen: Er hat keineswegs vor, sich von Amerika instrumentalisieren zu lassen, sondern beabsichtigt umgekehrt, durch eine verstärkte ökonomische Partnerschaft mit den USA die deutsch-europäische Macht gegen das von China ausgerufene "asiatische Jahrhundert" zu stärken. Es geht um die Zukunft der imperialistischen Macht Deutschland - die darf keinesfalls "verspielt" werden!

1) Die Analyse der Prinzipien und Widersprüche des Abkommens findet sich in GegenStandpunkt 3-14: Mit TTIP zur Wirtschafts-NATO. Dollar-Imperialismus und Euro-Binnenmarkt - gemeinsam unüberwindlich.

2) "An Ertrag wird es nicht mangeln". Warum die Kanzlerin das G-7-Treffen für notwendig hält, aber auch versteht, dass es Proteste gibt. Interview mit Angela Merkel von M. Bauchmüller, N. Fried und S. Kornelius vom 29. Mai 2015, sueddeutsche.de

3) Die Internetplattform campact: 5-Minuten-Info: Handels- und Investitionsabkommen TTIP, www.campact.de. (Im Folgenden im Text ausgewiesen als "campact")

4) Die Linke: TTIP stoppen! Geheimes Handelsabkommen bedroht unsere Demokratie. S. 1 und 3, www.linksfraktion.de. (Im Folgenden im Text ausgewiesen als "Die Linke" + Seitenzahl)

5) www.ich-bin-ein-handelshemmnis.de

6) Harald Klimenta u.a.: Die Freihandelsfalle. Transatlantische Industriepolitik ohne Bürgerbeteiligung - das TTIP. Attac Basistexte 45, Hamburg, 2014, S. 7, www.vsa-verlag.de. (Im Folgenden zitiert als "Attac" + Seitenzahl)

7) BUND: Das Gemeinwohl ist nicht ver(frei)handelbar. Kein transatlantisches Freihandelsabkommen TTIP auf Kosten von Mensch und Umwelt! S. 33, www.bund.net. (Im Folgenden zitiert als "BUND" + Seitenzahl)

8) www.stop-ttip.org

9) So Thilo Bode in einem Interview im Bayerischen Rundfunk über sein Buch: Die Freihandelslüge. Warum TTIP nur den Konzernen nützt - und uns allen schadet. DVA, 2015 (www.br.de)

10) In seiner Broschüre zeichnet der BUND ein Bild der heutigen ökonomischen Benutzung von Mensch und Natur, das den Widersinn vorführt, beklagte Zustände als eine vergleichsweise bessere Lage gegen TTIP zu verteidigen:

 "Schon jetzt werden die Strukturen in der Landwirtschaft und der Lebensmittelerzeugung weltweit von einer immer kleineren Anzahl von Akteuren dominiert. Wie aus dem Fleischatlas 2014 eindrücklich hervorgeht, teilen sich mittlerweile einige wenige, meist multinational operierende Unternehmen den Markt für Fleisch oder Saatgut untereinander auf. Kleinere Höfe haben beim Zukauf von Boden das Nachsehen gegenüber Großinvestoren. Gleichzeitig wird die Erzeugung von landwirtschaftlichen Produkten bzw. Lebensmitteln immer intensiver - unter dem massiven Einsatz endlicher Ressourcen wie Phosphor und Erdöl und zulasten ökologischer Güter wie Boden, Klima, Wasser und Biodiversität. Diese Produktionsweise rechnet sich, weil die entstehenden externen Kosten von den Verursachern nicht selbst bezahlt werden müssen. Sowohl in den USA als auch in der EU wird diese Entwicklung durch das Fehlen von Regularien und den Einsatz falscher Anreize verstetigt. TTIP gäbe diesen Entwicklungen einen zusätzlichen Schub." (S. 16)

11) Das einschlägige BUND-Zitat in Gänze:

 "Das TTIP steht damit im Gegensatz zur großen sozial-ökologischen Transformation, die für eine die Umwelt und die menschliche Gesundheit schützende Produktion und Wirtschaftsweise in den natürlichen Grenzen dringend erforderlich ist. Unter diesen Vorzeichen lehnt der BUND die TTIP-Verhandlungen ab." (BUND, S. 33)

12) "Da die Wirtschaftswissenschaften weder zweifelsfreie noch hervorragende Gründe für eine weitere Vertiefung des europäisch-amerikanischen Handels anbieten können, verschiebt sich unser Blick notgedrungen von den Hoffnungen zu den Gefahren des TTIP." (Attac, S. 39)

 Könnten die behaupteten Beschäftigungs- und Wachstumseffekte bewiesen werden, würden sich nach dieser Logik die Einwände gegen die schädlichen Folgen des Abkommens für Umwelt, Gesundheit und andere Lebensumstände glatt relativieren.

13) keinco2endlager.de

14) "Neben all der Kritik, die bereits schon geäußert wurde, würde uns das TTIP zusätzlich noch das Gegenteil von dem bescheren, was versprochen wird: Weniger Wachstum und weniger Arbeitsplätze! Ein Programm für den wirtschaftlichen Niedergang, erkauft durch die Absenkung von Schutzstandards für Mensch und Umwelt und die Aufgabe demokratischer Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten multinationaler Konzerne." (www.muenster-gegen-ttip.de)

15) "Mythos 2: Freihandel schafft Wohlstand und Arbeitsplätze. Die Erfahrung mit bisherigen 'Freihandelsabkommen' zeigt, dass diese Verträge vor allem die Macht und Profitraten transnationaler Konzerne stärken - und dies meist zu Lasten der Bevölkerungsmehrheiten. Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA etwa hat für Mexiko zu einer wirtschaftlichen Katastrophe geführt: Millionen von Kleinbauern verloren durch hochsubventionierte Billigimporte aus den USA ihr Einkommen. Auto- und Textilhersteller aus den USA wiederum verlagerten ihre Produktion in den Norden Mexikos, wo nun zu Niedrigstlöhnen in Sweatshops ohne gewerkschaftliche Organisation gearbeitet wird. Freihandel dieser Art fördert einen ruinösen Standortwettbewerb und verringert staatliche Umverteilungsspielräume. Attac fordert daher gerechten Handel statt freien Handel. Arbeitnehmerrechte, Umweltstandards und Demokratie müssen Vorrang vor einseitigen Handelsinteressen haben. In Zusammenarbeit mit zahlreichen anderen Organisationen hat Attac ein Alternatives Handelsmandat erarbeitet." (www.attac.de)

16) "Erheblichen Einfluss auf die Verhandlungen hat dagegen die Wirtschaftslobby, die den Großteil der berücksichtigten Expertisen stellt." (Attac: Freihandelsabkommen EU-USA - Konzerne profitieren, Menschen verlieren!)

17) "Dagegen haben einige hundert Industrielobbyisten exklusiven Zugang und die Möglichkeit, ihre Interessen direkt in den Vertrag zu diktieren. Ziel der Verhandlungs-Elite ist es, die Verhandlungen geheim abzuschließen und den demokratisch gewählten Vertretungen der Bürger/innen dann nur noch die Wahl zwischen Zustimmung und Ablehnung zu lassen." (campact)

18) Attac: Freihandelsabkommen EU-USA - Konzerne profitieren, Menschen verlieren!

19) Die EU wird wohl kaum darunter leiden, dass bei der Tiermast Antibiotika verwendet werden, ganz im Unterschied zu den Kritikern. Aber die wollen ja auf Teufel komm raus zwischen sich und der Obrigkeit keine prinzipielle Differenz sehen:

 "Im EU-Recht wird der Status Quo festgeschrieben: Keine Chance mehr für dringend nötige Regeln gegen den Missbrauch von Antibiotika bei der Tiermast oder gegen hormonähnliche Substanzen in Alltagsgegenständen." (campact).

20) John Hilary: Das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen. Freibrief zur Deregulierung; Angriff auf Arbeitsplätze; Ende der Demokratie. Rosa Luxemburg Stiftung Büro Brüssel. Mai 2014, S. 7, rosalux-europa.info

21) Sigmar Gabriel: Mut und Selbstbewusstsein. 6. März 2015, www.bild.de